Wind, Wind, Wind! Seit
2 Monaten sind die wechselnden Winde unsere täglichen Begleiter.
Seit wir die Berge verlassen haben und damit die Schwerkraft nicht
mehr so entscheidend ist, spielt der Wind eine noch größere
Rolle. Grundsätzlich handelt es sich während der Fahrt
um Südwestwinde. Aber es kann auch ganz anders kommen. Wie
in den letzten Tagen, als die Mädchen zusammen, die Jungs und
ich allein unterwegs waren. 5 Tage lang. Ein weiterer Schritt in
Richtung Selbständigkeit und Verantwortungsbewusstsein.
Anfangspunkt ist Dodge City, Kansas, Zielpunkt Rowe Audubon Sanctuary
in der Nähe von Kearney, Nebraska. Die Mädchen und ich
haben direkte Routen, die Jungs teils weite Wege. Die Mädchen
sind körperlich einfach nicht so kräftig und sollen einige
einfache Tage haben, bei mir warten noch ein zweiwöchige Wanderung
in den französischen Pyrenäen im Sommer und die dreimonatige
Wanderung auf dem Appalachian Trail mit einer neuen Gruppe von Schülern.
Die Jungs dagegen suchen die Herausforderungen und ich unterstütze
sie dabei gerne.
Eigentlich soll es für mich also einfach sein. Aber wenn dann
der Wind kräftig von Norden kommt, ist es einfach nur ein Kampf.
Außerdem will ich eher früher als später ankommen,
um die Ruhetage mit Paul Trebbel, dem Leiter der Naturschutzgebietes,
zu besprechen. Abends suche ich mir versteckte Plätze, dreimal
in der Stadt, an Kirchen und Schulen (geht inzwischen, weil die
Sommerferien angefangen haben). Da kann ich den Tag gut in einer
Kneipe ausklingen lassen und Baseball, Basketball und Hockey im
Fernseh gucken. Witzig ist es in einer Rockerkneipe in Phillipsburg,
Kansas. Ich muß mich erst einmal ausweisen, sonst bekomme
ich kein Bier - 21 Jahre muss man alt sein. Der 46 Jahre alte Besitzer,
lange graue Haare, einen mächtigen Rauschebart über einem
nicht unerheblichen (Bier)Bauch erzählt mir auf mein amüsiertes
Nachfragen, dass er im letzten Jahr in New Mexico ähnliches
erlebte: "No ID, no beer!"
Nach 4 Tagen und mit schweren Beinen bin ich praktisch am Ziel,
verbringe aber die Nacht versteckt, weil ich Paul nicht stören
will, da er Urlaub und Besuch von seinen Eltern hat. Dann ist er
aber doch froh, ein paar Stunden in anderer Gesellschaft zu verbringen
und zeigt mir die Örtlichkeiten. Rowe Sanctuary - www.rowesancturary.org
- befindet sich am North Platte River und ist im späten Winter
ein wichtiger Zwischenstop für die Kraniche auf ihrem Weg in
den Norden. Zigtausende versammeln sich, fressen sich neue Fettreserven
an und warten auf wärmeres Wetter. Das Gebiet gehört der
Audubon Society, dem größten Naturschutzverein in den
USA, benannt nach dem Künstler und Naturalisten John James
Audubon.
Ruhetage sind angesagt und Paul, ein guter Freund von Libby Frishman-Bodio,
aus Magdalena, New Mexico, beschert sie uns, weil er Libby so schätzt.
Es sind zwar diese Woche viele Ökologen und Freiwillige da,
so dass wir für zwei Tage auf einen nahe gelegenen Campingplatz
umziehen, aber wir haben einen Schlüssel für das neue
Hauptgebäude - in dem es einen riesigen Fernseher gibt, so
dass wir in Ruhe einige Videos sehen können - und sogar einen
Kleinbus zu unseren freien Verfügung. Der nächste Supermarkt
ist 30km entfernt, aber so ist einkaufen so einfach
Erstaunlicherweise sind alle Jungs vor den Mädchen da - sie
hätten bei schwierigen Verhältnissen auch einen sechsten
Tag brauchen können. Simon fährt ja besonders auf Städte
und Supermärkte ab, so dass er von Dodge erstmal ein paar hundert
Kilometer nach Osten fuhr, um sich die Supermärkte in Wichita
anzusehen. Am ersten Abend hat er etwas früher als geplant
den Tag beendet, weil ein Ehepaar unseren Bericht in den Nachrichten
gesehen hatte und ihm alle Annehmlichkeiten eines Hauses anbot,
um ihn zum Bleiben zu überreden - da sagt man dann nicht nein.
In Wichita schenkte ihm eine Kassiererin 5 $, weil wir doch mit
so wenig Geld unterwegs sind - auch da wollte er eigentlich nicht,
aber sie blieb hart. Der Abend sollte neben einem Schotterweg enden,
aber ein Polizist fand das zu gefährlich, so dass Simon in
einer nassen Wiese endete. Dazu kamen ein Garten und ein Zeltplatz
in der Stadt. Ein besonderes, aber kurzes Erlebnis war ein Autounfall,
zu dem er vor den Hilfskräften kam. Ein Mann war in seinem
Wagen eingeschlossen und Schaulustige sammelten sich, aber so was
mag er nicht. Kilometer fressen wesentlich mehr (747 in den fünf
Tagen) und als es dann einen Tag mit genialem Rückenwind gab,
hörte Simon erst nach 227km auf - 2 km über der alten
Hoechstmarke bei Einzelfahrten, die allerdings mit wenig oder gar
keinem Rückenwind.
Janosch sollten 600 km reichen, allerdings gut die Hälfte davon
über Schotterstrecken. Im westlichen Kansas gibt es davon mehr
als asphaltierte Strassen. Leider hatte der Regen diese Strecken
teils schwer passierbar gemacht, so dass Janosch sich meist an die
Strassen gehalten hat. Mit 15 allein auf sich gestellt und nicht
den besten Englischkenntnissen - es klappte gut. Eine Nacht im Wohnwagen,
eine im Haus, mit einem Abend voll Gesprächen mit den Besitzern
der Keystone Gallery in Scott City (eine Karte der Schweiz wurde
auch hervorgekramt
.) und zum Abschluss hat Janosch sogar im
Hotel übernachtet. Die Polizei des Örtchens fand es nicht
so gut, dass er irgendwo draußen campen wollte, also haben
sie ihm das Hotelzimmer bezahlt! Insgesamt freut er sich aber, dass
wir wieder alle zusammen sind, denn allein ist es schon ein bisschen
einsam.
Korbinian ist ja unser Leistungssportler und deshalb passte er für
ihn gut, von Dodge erstmal direkt nach Westen zu fahren, um auch
mal nach Colorado zu kommen. Wind oder nicht, er hat immer locker
über 100 km geschafft (ich frage mich, was er machen muss,
damit er mal Muskelkater bekommt!!!), einmal im Stadtpark übernachtet,
zweimal im Garten - ohne sonst etwas von seinen Gastgebern zu sehen
- und einmal wurde er von einem Radfahrer eingeladen. Das war ein
Fest: gute Unterhaltung, eine Etage für ihn mit Badezimmer
und Schlafzimmer, Fernseher, Abendessen und Frühstück
und sogar Wäsche waschen (nicht er, sondern für ihn).
So lässt es sich leben, wobei 772 km eine andere Sprache sprechen.
Ja, und die Mädchen? Sie hatten den Auftrag Geld zu sparen,
denn drei Mädchen allein werden verwöhnt, dass ist leicht
verständlich und war auf anderen Fahrten auch nicht so. Und
die drei sind ja keineswegs auf den Mund (oder Kopf) gefallen. Geduscht
haben sie jeden zweiten Tag, dreimal gab es Frühstück,
jeden Abend Abendessen! (in weiser bzw. hoffnungsvoller Voraussicht
hatten sie eh nur 'Notfallsuppen' dabei), zwei- bis dreimal haben
sie im Bett geschlafen und waren zweimal in der Zeitung. Wenn da
nicht der Wind gewesen wäre
so hatten sie trotzdem
zu kämpfen, allerdings nach einem langsamen Anfang: 50, 65,
80, 95 und 135 km lauteten ihre Tagesetappen. Die 3 hatten auch
den Vorteil des Windschattenfahrens und der Gemeinschaft, so dass
sie sich tagsüber reichlich auf deutsch und abends mit ihren
Gastgebern auf englisch unterhalten konnten.
Am ersten Ruhetag hier gab es dann lange Gesichter, weil die Post
noch nicht da war. Umso größer war die Freude am nächsten,
zum 2. Mal 'Weihnachten' auf dieser Fahrt.
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